Da hatte Gott wohl andere Pläne


Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich vor vielen Jahren während meines Medizinstudiums vollkommen fasziniert war von der Komplexität und dem kaum nachvollziehbaren Werden eines neuen Lebens, der Embryologie. Sie rettete mich mit ihrer Faszination durch ein Semester Anatomie. Am Ende war für mich klar, es kann auf dem Weg von der Verschmelzung zweier Keimzellen bis zum fertigen kleinen Menschlein so unfassbar viel schief gehen, jedes Baby, das gesund zur Welt kommt, ist das Ergebnis unzähliger kleiner Wunder und deshalb ein großes Wunder.

Medizinerin bin ich nie geworden, doch diese Erkenntnis blieb haften und nun sollte es mich treffen, dass irgendeines dieser unzähligen Wunder schief ging.

Ich hatte mich so sehr über den positiven Schwangerschaftstest gefreut, endlich ein Geschwisterchen für unsere kleine Tochter. Ich freute mich auf die Schwangerschaft und das neue kleine Leben, das in mir heranwuchs. Der Tag meines Termins zum ersten Ultraschall in der 9. Schwangerschaftswoche rückte näher und irgendwie hatte ich dieses Mal großen Respekt vor diesem Termin, als hätte ich schon geahnt, was auf mich zukommt. Ich wollte eigentlich gar nicht hin, dachte mir, es ist doch eh alles okay. Dass mir dieses Mal weniger oft übel war und ich nicht ganz so unendlich müde war, wie in der ersten Schwangerschaft, schob ich darauf, dass ich meine Tochter bei Nacht noch stillte.
So ging ich also zum ersten Ultraschall, blickte auf den Bildschirm und sah, was auch meine Ärztin und die Hebamme meiner Praxis sahen, alles, aber kein Baby. Ich war schockiert, reagierte völlig rational, meinte, das sei halt Natur und das komme vor und ich wäre schon okay, ließ mir Blut abnehmen für eine Bestimmung des bHCG, hörte mir an, dass mir im Falle einer Fehlgeburt zu einer Ausschabung geraten würde, ging zum Auto und brach in Tränen aus. Der klitzekleine Hoffnungsschimmer, das Baby habe sich versteckt und alles sei gut, er half mir nicht. Tief in meinem Inneren bestätigte sich meine Angst, etwas könnte nicht in Ordnung sein und ich wusste schon in diesem Moment, ich würde das Baby verlieren. Auf dem Heimweg weinte ich bitterlich über diesen so unfassbar großen Verlust und den Schmerz, den dieser Verlust in mir auslöste.
Zwei Tage später bestätigte sich mein Gefühl, der bHCG war gefallen, und ich rief Saskia an und erzählte ihr von meinem toten Baby und meinem dringenden Wunsch, es trotzdem einfach ganz normal zur Welt zu bringen, zu warten, bis mein Körper bereit war, es zu verabschieden. Ich bin Saskia so dankbar für den Mut, den sie mir zusprach und die Bestätigung, dass ich das natürlich so machen kann und auch sollte, wenn es sich für mich richtig anfühlte. Und so begann ich mich mit mir, dem unglaublich großen Verlust meines Babys und der bevorstehenden Geburt auseinanderzusetzen. Was würde mich wohl erwarten? Werde ich lange warten müssen, bis zur Geburt meines toten Babys? Werde ich das schaffen? Bin ich stark genug?
Eine Ausschabung konnte ich mir partout nicht vorstellen. Ich wollte mein Baby nicht „wegmachen“ lassen. Was, wenn sich alle geirrt hatten und in meinem Bauch passiert ein Wunder und das Baby lebte doch?
Uns so fühlte ich jeden Morgen der folgenden Tage tief in mich hinein und beobachtete, was in meinem Körper passierte. Mein Gefühl, das Baby lebe nicht mehr, es wurde immer präsenter und ich war mir sicher, genau das würde mir auch der Bildschirm bei der folgenden Ultraschalluntersuchung eine Woche später sagen. Schon zwei Tage vor dieser Untersuchung beobachtete ich eine kaum vorhandene Schmierblutung. Meinem Mann zuliebe ging ich dann nochmals zum Ultraschall, um für ihn die Bestätigung über den Tod unseres Babys zu holen. Mir selbst war längst klar, dass ich es sehr bald verlieren würde. Zumindest fühlte es sich genau so an. Beim Ultraschall war ich furchtbar aufgeregt, vielleicht täuschte ich mich ja doch? Nein, ich hatte mich nicht getäuscht. Mir wurde nochmals ans Herz gelegt, in einer Klinik eine Ausschabung machen zu lassen, doch ich stellte klar, dass das für mich absolut keine Option war, sondern dass ich das Baby ganz normal zur Welt bringen würde, wenn mein Körper so weit war, es loszulassen und ich bin meiner Ärztin sehr dankbar, dass sie mich für diesen Wunsch nicht verurteilte, sondern bereit war, ihn mit mir zu gehen. Zu meinem eigenen Erstaunen konnte ich an diesem Tag sehr gut mit der Situation umgehen. Die Woche, die ich zwischen dem ersten und dem jetzigen Ultraschall Zeit hatte, mich mit meinem toten Baby, der anstehenden Fehlgeburt und meinen Gefühlen auseinanderzusetzen, zusammen mit der diagnostischen Unsicherheit, ob das Baby nun lebte oder nicht, machten mich sehr stark und waren ein entscheidender Teil des Trauerprozesses um unser Baby.
Und so ging ich nach einer erneuten Blutabnahme und einer Unterschrift dafür, dass ich über den Ratschlag einer Ausschabung informiert wurde und diese ablehnte, nach Hause, vergoss die vorerst letzten Tränen über unseren so schmerzlichen Verlust und versuchte, mich an unserem kleinen Wirbelwind, unserer kleinen Tochter, zu neuem Optimismus bringen zu lassen.
In der kommenden Nacht kamen, worauf mich Saskia schon vorbereitet hatte, die Wehen meiner kleinen Geburt. Zwei Stunden lang lag ich wach und litt, während mein Körper unser Sternchen freigab. Ab nächsten Morgen auf der Toilette gebar ich unseren kleinen Engel, verabschiedete mich liebevoll von ihm, und übergab ihn in Gottes Hände. Es folgten vier Tage mit einer ordentlich starken Blutung und ich spürte, wie sich mein Körper mehr und mehr wieder frisch und frei anfühlte. Nach einer Woche war die Blutung nahezu vollständig weg und ich mächtig stolz darüber, diese so schmerzliche Erfahrung, diesen unbeschreiblichen Verlust und diese kleine Geburt so gut gemeistert zu haben.

Ich bin unendlich froh darüber, diesen schwierigen und steinigen Weg so gegangen zu sein, denn so hatte ich genügen Zeit und Raum, auf die Signale meines Körpers zu hören und mich von meinem Baby zu verabschieden. Ich konnte besser akzeptieren, dass eines der unzähligen Wunder, die während der Entstehung eines neuen Lebens passierten, dieses Mal schief gegangen war, denn ich hatte meinem Körper die Zeit und den Raum gelassen, zu entscheiden, ob er weiter in dieses kleine Wunder investieren sollte, da noch nicht alles verloren schien, oder ob er beschließen sollte, diese Schwangerschaft zu beenden, um einem neuen möglichen Wunder Platz zu machen. Ich hatte der Natur und Gottes Plänen ihren Lauf gelassen, in die ich so großes Vertrauen hatte. Das war entscheidenden für meinen Trauerprozess und die Kraft, die ich aus dieser Erfahrung mitnehme. Ich fühle mich nun als zweifache Mama, auch wenn ich eines meiner Kinder schon viel zu früh gehen lassen musste und leider nie kennenlernen durfte.

Danke Saskia, dass du mich auf diesem Weg unterstützt hast und mir Mut zugesprochen hast und mich bestärkt hast, meinen Weg so zu gehen.