Zimtschnecken

„Eine Hausgeburt? – Du bist aber mutig!“ Wie oft hörte ich diesen Satz in meiner Schwangerschaft. Ich empfand es nicht als „mutig“, ich wollte unbedingt mein 3. Kind zu Hause bekommen und auf gar keinen Fall in der Klinik. Wenn man es so sehen will, habe ich mich hinsichtlich Geburten gesteigert. Von einem Kaiserschnitt beim ersten Kind, Hebammenkreißsaal (das heißt ohne Arzt) und natürliche Geburt bei meiner Tochter und schließlich die Hausgeburt. Warum wollte ich nicht wieder in die Klinik? Meine größte Motivation dabei war, dass ich selber entscheiden konnte, was, wie, wo und wann (Beim gefühlt 18. Mal auf der Toilette während den Wehen dachte ich mir so, dass wäre im Kreißsaal z.B. nicht so einfach gewesen). Ich durfte bei meiner ersten Geburt nicht aufstehen, für mich der blanke Horror. Die Gründe seien dahingestellt, ich weiß nur, dass ich das nie mehr wollte! Das vertraute Umfeld, vertraute Personen und nicht diesen Stress der Anreise (während den Wehen) zu haben, waren weitere Gründe. Hinzu kommt noch, dass ich (natürlich) ein Familienmensch bin, und der Gedanke, die anderen zwei Kinder und den Hund daheim zu wissen, stresste mich ungemein. Ob ich Zweifel hatte? Ja, hatte ich. Immer mal wieder. Vor allem nach dem Arzt-Besuch, als ich zwei Tage über dem Termin war. Ich war so verunsichert aufgrund der Prognose eines (zu) großen Babys, dass es mit jedem Tag schlimmer wurde. Und das Baby ließ auf sich warten. Nach Anraten von Saskia entschieden wir uns am ET +9, eine Zweitmeinung in Reutlingen einzuholen. Das war die beste Entscheidung die ich treffen konnte! Ich war beruhigt, alles schien normal und gut zu sein, nur das Fruchtwasser wurde langsam knapp. Die Ärztin gab mir noch das Wochenende Zeit, dann müsse man einleiten. Ich war trotzdem froh und erleichtert und vermutlich hat diese Entspannung dazu geführt, dass sich das Butzele einen Tag später doch auf den Weg machte.
Bereits in der Nacht von Freitag auf Samstag hatte ich Wehen, die mich weckten. Ich war schon voller Vorfreude und beschloss aber weiter zu schlafen. Am Morgen dann – nichts mehr, meine Ungeduld und meine Sorgen kamen wieder hoch. Bereits am Tag davor hatte ich mit Saskia besprochen, an diesem Morgen eine Eipollösung zu versuchen. Nicht gerade angenehm, aber ich wollte nichts unversucht lassen (Badewanne, Treppen steigen, scharfes Essen hatte ich ja schon alles durch). Ich fühlte mich unruhig und irgendwie waren da ja doch Wehen, oder war das was anderes? Am nächsten Tag sollte im Kindergarten Sommerfest sein und unsere Freunde wollten kommen. Ich entschied, sie zu fragen ob sie schon heute Abend anreisen würden. Na klar! Ich entspannte mich und siehe da die Wehen wurden regelmäßiger. Unsere Freunde da zu wissen, die sich um Kinder und Hund kümmerten war für mich ein Segen. Es war mittlerweile 18.00 Uhr und ich hatte immer mal wieder Wehen, die ich schon richtig veratmen musste. Aber so ganz in Gang kam es nicht. Um neun Uhr waren die Kinder im Bett. Ich dachte, jetzt muss es losgehen, aber es blieb bei den gleichen Abständen und auch immer wieder schwächeren Wehen. Frustriert rief ich Saskia an. Sie meinte: „Jetzt back doch einen Kuchen! Als Geburtstagsgeschenk für dein Baby, dass lockt es bestimmt raus.“ Naja, dachte ich, schaden kann es nicht und meine Freundin backt ja schließlich gerne. Wir entschieden uns für Zimtschnecken. Ich konnte mich nicht konzentrieren und fragte dreimal nach, was wir nochmal backen wollten. Das brachte uns alle zum Lachen. Schließlich musste meine Freundin die Zimtschnecken fertig backen, denn die Wehen wurden stärker. Ich hätte mich freuen sollen, aber es ging mir alles viel zu langsam und ich war schon so müde. Um halb elf hielt ich es nicht mehr aus. Ich rief Saskia an und bat sie zu kommen. Sie meinte, sie bräuchte noch eine Stunde. Als sie um halb zwölf kam, musste ich teilweise schon tönen und ich konnte vor Müdigkeit kaum noch stehen. Saskia meinte, ich solle mich doch hinlegen. Gegen zwölf müssen unsere Freunde wohl in den Wohnwagen gegangen sein, das bekam ich aber nicht so mit. Ich verbrachte meine Zeit mit aufs Klo gehen (im Flur roch es so gut nach Zimtschnecken), ich war der Hoffnung die Fruchtblase würde dort (wie bei meinen anderen zwei Kindern auch) platzen. Tat sie aber nicht. Ich empfand es als zäh und wollte aufgeben. Doch was hieße das aufgeben? Ich stellte selber fest, dass ich da durch musste, egal wo ich war, und ich wollte immer noch nicht in die Klinik. Jetzt erst recht nicht, sagte ich mir. Dann hatte ich das Gefühl die Fruchtblase hätte einen Riss bekommen, Saskia war sich nicht sicher. Die Presswehen kamen und ich war erleichtert, denn jetzt, dass wusste ich, ging es vorwärts. Saskia versuchte mich zu bremsen und den richtigen vom falschen Pressdrang zu unterscheiden, um meine Kräfte zu schonen. Das war schier unmöglich für mich! Auf die Sofalehne abgestützt versuchte ich mich zwischen den Wehen zu entspannen. Mir war heiß und ich hatte unerträglichen Durst, mein Mann sorgte liebevoll für mich. Ich war so froh, dass die beiden da waren. Plötzlich waren die Kinder wach. Mein Mann war ganz entspannt und brachte sie ins Familienbett. Sie setzten sich ihre Kopfhörer auf und hörten sich ein Hörbuch an. Mein Mann kam wieder und ging noch zweimal zu ihnen, er beruhigte mich und sagte, es ginge ihnen gut, sie seien jetzt nur auch schon voller Vorfreude. Ach wie schön! Das motivierte mich noch mehr. Auch wenn der Kopf ein paarmal wieder zurück rutschte, ich wusste ich habe es gleich geschafft und gab alles. Da war es, dieses Brennen! Wenn der Kopf geboren wird. Saskia holte meinen Mann zu sich, meine Vorfreude wuchs. Der Kopf wurde geboren, was ich erst später erfahren habe, mit geschlossener Fruchtblase! Eine Glückshaube nennt man das, meinte Saskia. Sie und mein Mann wären wohl im ersten Moment etwas verwirrt gewesen, da das Gesicht nicht zu erkennen war. Mit den Fingern öffnete Saskia die Blase und geschmeidig kam der Körper nach. Ich nahm mein Kind in den Arm und hätte stolzer nicht sein können. Was für ein Moment! Da wir dieses Mal nicht wussten, was es war, erfreuten wir uns an der Überraschung einen zweiten Sohn bekommen zu haben. Es war jetzt 2.38 Uhr. Es war alles so schön. Auf dem Sofa zu liegen im eigenen Wohnzimmer! Nach der ersten Kuschelzeit und dem Durchtrennen der Nabelschnur (natürlich von meinem Mann), nahm er den kleinen Jere und ging mit ihm zu den gespannten Kindern. Sie waren so aufgeregt und kamen dann auch ins Wohnzimmer. So etwas erlebt man nur zu Hause. Ganz in Ruhe und ohne großen Stress untersuchte Saskia unseren kleinen Prinzen. Er brachte stolze 4640g auf die Waage und war 54 cm groß. Du meine Güte! Nun war ich noch ein kleines bisschen stolzer als sowieso schon. Die Erinnerungen an diese Geburt sind wunderschön und man spürt diese Energie im Wohnzimmer noch immer. Sollte ich ein viertes Kind bekommen, werde ich es wieder zu Hause kriegen, denn dieses Erlebnis war eines der besten in meinem Leben!